“Gegen die Wand” Rezension von Julia Schroeder

Der Film “Gegen die Wand” von Fatih Akin ist eine dramatische und brutale Tragikomödie und gleichzeitig eine zärtliche Liebesgeschichte über zwei verzweifelte, leidenschaftliche Menschen, die sich nach ihrem Selbstmordversuch, (er fährt gegen die Wand und sie schneidet sich die Pulsadern auf) in der Psychiatrie einer Klinik in Hamburg begegnen. Doch das ist erst der Anfang vom Ende. In atemberaubender Geschwindigkeit und ohne Vorwarnung geht der Zuschauer auf eine brutale  Achterbahnfahrt der Gefühle. Man muss sich gut festhalten, um nicht aus der Bahn zu kippen, ja man kommt dem Abgrund oft sehr nah und ein Happy End wie in Hollywood gibt es auch nicht. Aber man wird total transformiert.

Der Hamburger Fatih Akin, selbst ein türkischstaemmiger Deutscher, erzählt die Geschichte von Cahit,  einem 40jaehrigen Türken, der seit 30 Jahren in Deutschland lebt und dessen Frau gestorben ist. Er lebt wie ein Penner  und er fährt sich in seiner Verzweiflung und Einsamkeit brutal gegen die Wand. Er überlebt wie ein Wunder und in der Klinik  trifft er die zwanzigjährige Sibel, auch türkischstämmig, die es in ihrer türkischen Familie mit brutalen Brüdern, die ihr zur Strafe die Nase gebrochen haben, nicht mehr aushält. Beide sind total durchgeknallt und kriegen ihr Leben gerade nicht auf die Reihe. Der Dialog zwischen den Beiden ist trotz oder eben gerade wegen ihrer verzweifelt Lage irgendwie erfrischend und witzig. Als Zuschauer schöpft man Hoffnung. Beide haben große Sehnsucht nach Liebe, Geborgenheit und Freiheit. Vor allem Sibel will sich von den islamischen Moralzwängen befreien und einfach nur weg von Vater und Brüdern . Sie sagt: “Ich will leben, lieben, tanzen, ficken – und nicht nur mit einem Typen, verstehst du mich?”

So überzeugt sie Cahit, der erst gar nicht will, durch einen total brutalen Versuch sich wehzutun dazu, sie zu heiraten, so dass sie aus dem zwanghaften Zuhause rauskommt. Sibel ist zu allem bereit. Sie hat nichts zu verlieren und geht bis zur äußersten Schmerzgrenze , um ihr Ziel der “Freiheit” zu erreichen. Als Zuschauer empfindet man großes Mitgefühl und gleichzeitig totales Unverständnis für Sibels Verhalten.  Sie lebt exzessiv und selbstzerstörerisch. Man fühlt ihren Schmerz, ihre Zerrissenheit und ihre große Sehnsucht. Es ist die Tragik einer türkischen Immigrantentochter, die aus den Fesseln der Familie entkommen will. Sie ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, sie möchte das Leben in vollen Zügen leben und stößt doch immer wieder auf Hindernisse.  Sie will raus aus dem Knast und dem Gefühl der Enge. Nachdem Cahit sie heiratet lebt sie ihren Drang nach Freiheit und Sex total aus und begibt sich in große Gefahr. Cahit, der sich das zuerst teilnahmslos anschaut entwickelt nach und nach Gefühle der Liebe für Sibel und wieder schöpft man als Zuschauer Hoffnung, dass doch noch alles gut wird. Als Cahit Sibel verteidigt, weil einer ihrer Freunde sie beleidigt bringt er ihn aus Versehen um und wandert ins Gefängnis. Sibel verlässt in ihrer Verzweiflung und Angst vor Rache Deutschland und geht nach Istanbul, wo sie plötzlich umgeben ist von allem, was ihr zuwider war.

Als sie ihren Hass und Wut auf die Männer, die sie ein Leben lang unterdruckt haben, rausschreit, wird sie von einem vergewaltigt und bleibt verletzt in der Straße liegen. Wie durch ein Wunder lebt sie und geht nun durch eine totale Transformation. In dieser Beziehung ist Sibels Suche und Reise zu sich selbst eine Odyssee. Man will weinen, ihr helfen, sie beschützen und beschimpfen, ihr den Weg weisen, doch den kann sie nur für sich selbst finden. Sie findet einen Mann und hat ein Kind, von dem man nicht Weiß, ob es von der Vergewaltigung stammt oder von ihrem Mann. Cahit wird zwar aus der Haft entlassen, doch man ahnt, dass alles anders kommt, als man hofft. Er findet Sibel, doch wird seine Hoffnung und die vieler Zuschauer am Ende enttäuscht. Zu viel ist passiert. Man kann das Rad nicht zurückdrehen. Es ist eine klassische Tragödie in drei Teilen.

Dieser Film ist eine Lektion des Loslassens. Der Schmerz und die innere Verzweiflung und Zerrissenheit dieser beiden Menschen, die nicht wissen wohin oder zu wem sie gehören tut weh. Man hofft und bangt und doch kann man nichts tun als zuzuschauen und mitzuleiden und hier und da auch mitzulachen, denn trotz aller Brutalität hat der Film immer wieder Momente von Witz.

Dieser Film ist ein besonderer und sehr ehrlicher Film, der zwei Menschen auf der Suche nach dem Leben und ihrer Identität zeigt. Sie befinden sich immer wieder am Rande des Abgrunds und die Kamera begleitet sie durch alle Höhen und Tiefen. Die Musik trägt auch dazu bei, diese Gefühlsachterbahnfahrt intensiver zu machen. Als Zuschauer empfindet man die Wut, den Schmerz, die Zerrissenheit, große Trauer und die Sehnsucht, nach Liebe und Zugehörigkeit, und am Ende hat man auch sehr viel Mitgefühl. Man geht den Weg mit den Beiden vom Anfang bis zum Ende oder man verlässt die Vorstellung. Man geht durchs Feuer mit Cahit und Sibel, man verbrennt fast und ist am Ende desillusioniert und im klassischen Sinne geläutert und verändert.  Man denkt über die Themen des Films nach und begreift, dass man oftmals nicht nur Opfer sondern auch Täter ist. Der Film ist so voller Widersprüche und dadurch sensibilisiert er den Zuschauer und trägt zu einem besseren Verständnis beider Kulturen bei. Ein bemerkenswerter Film.

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