Chronologie

1994

Leyla Onur und Cem Özdemir werden als erste Abgeordnete türkischer Abstammung in den Bundestag gewählt. Onur war auch die erste deutschtürkische Parlamentarierin im Europaparlament.

1993

Am 29. Mai sterben Saime Genç (4), Hülya Genç (9), Gülüstan Öztürk (12), Hatice Genç (18) und Gürsün İnce (27) bei einem Brandanschlag im westdeutschen Solingen. Weitere drei Personen werden schwer verletzt. Die Opfer waren verwandt und gehörten einer größeren Familie an, die seit 23 Jahren in Deutschland lebt. Die Täter, vier junge Männer aus der Solinger Neonazi-Szene, werden zu langjährigen Haft- oder Jugendstrafen verurteilt. Der Anschlag entfacht Diskussionen über Rechtsextremismus in Deutschland. Drei Millionen Menschen protestieren im gesamten Bundesgebiet mit Lichterketten gegen Fremdenfeindlichkeit.

Am 30. Juni garantiert eine Ergänzung zum Ausländergesetz Ausländern, die in Deutschland geboren wurden oder dort länger als 15 Jahre gelebt haben, einen gesetzlichen Anspruch auf Einbürgerung. Andere Einbürgerungsverfahren werden weiterhin durch das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 geregelt.

Am 1. Juli wird das Grundrecht auf Asyl eingeschränkt. Die Einschränkung im Grundgesetz geht auf den Asylkompromiss von 1992 zurück. Ab jetzt gilt eine jährliche Quote von 220.000 Menschen, die als deutsche Volkszugehörige anerkannt werden können.

Der DFB (Deutscher Fußball-Bund e.V.) initiiert das Projekt ‚Friedlich Miteinander – Mein Freund ist Ausländer‘. Am letzten Spieltag laufen alle Bundesligavereine mit dem Slogan auf dem Trikot auf.

1992

Die Einwanderungszahl erreicht mit 1.219.348 Zuwanderern einen neuen Höhepunkt. Etwa 440.000 suchen Asyl, 230.000 deutsche Volkszugehörige wandern aus Polen, Rumänien und der ehemaligen Sowjetunion ein. Weitere 350.000 Menschen fliehen vor dem Krieg in Bosnien und finden in Deutschland „befristeten Schutz“.

Am 7. Februar wird der Vertrag über die Europäische Union, auch Vertrag von Maastricht genannt, unterzeichnet. Er legt neue Formen der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fest, die die europäische Integration weiter vorantreiben sollen. So planen die EU-Länder im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch in Bezug auf innere Angelegenheiten, auf einer gemeinsamen Basis zusammenzuarbeiten und verbindliche Richtlinien zu erlassen.

Im Mai wird der deutsch-französische Kultursender ARTE (Association Relative à la Télévision Européenne) gegründet. Er wird von der französischen Regierung und deutschen Bundesländern finanziert und dient der Ausstrahlung kultureller Programme von transnationaler Ausrichtung sowie der Förderung der kulturellen Integration Europas.

Im August attackieren Hunderte von jugendlichen Neo-Nazis Asylbewerber in der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber in Rostock-Lichtenhagen sowie ein anliegendes, von vietnamesischen Vertragsarbeitern bewohntes Wohnhaus. Die Gewalttätigkeiten ziehen eine große Menge von Schaulustigen an, die die Ausschreitungen mit Applaus begleiten.

Am 22. November sterben Bahide Arslan, ihre Enkelin Yeliz Arslan (10) und ihre Nichte Ayşe Yılmaz (14) bei einem fremdenfeindlichen Brandanschlag im westdeutschen Mölln.

1991

Emine Sevgi Özdamar erhält in Klagenfurt den Ingeborg-Bachmann-Preis. Die Verleihung an die deutschtürkische Schriftstellerin führt zu einer Kontroverse über die Qualität „deutscher“ Literatur.

Am 15. Februar beschließen die Ministerpräsidenten der Länder, jüdische Immigranten aus der Sowjetunion als Kontingentflüchtlinge aufzunehmen. Als Kontingentflüchtlinge genießen sie Privilegien gegenüber anderen Migranten in Bezug auf ihren Aufenthaltsstatus und die doppelte Staatsbürgerschaft. Innerhalb der nächsten zehn Jahre kommen über 200.000 Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. 2005 und 2006  werden die Aufnahmebedingungen allerdings eingeschränkt, u.a. wird die Vorlage einer Aufnahmebescheinigung von einer jüdischen Gemeinde in Deutschland und einer Erklärung, nicht dauerhaft Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, verlangt.

Berlin wird auf Beschluss des Bundestages neue Hauptstadt des wiedervereinten Deutschlands.

Am 30. September erleiden 30 Asylbewerber bei einem Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim im ostdeutschen Hoyerswerda Verletzungen.

1990

In Westdeutschland leben etwa 5 Millionen Ausländer (8 Prozent der Bevölkerung). In Ostdeutschland sind etwa 192.000 Ausländer ansässig.

Im Februar signalisiert Gorbatschow Bundeskanzler Kohl, dass die Sowjetunion eine Wiedervereinigung Deutschlands unterstützt.

Via Kabel beginnt TRT, Türkiye Radyo ve Televizyon Kurumu, die öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalt der Türkei, mit der täglichen Ausstrahlung ihrer Programme in Deutschland.

Der Bundestag verabschiedet eine neue Fassung des Ausländergesetzes. In Bezug auf den Erwerb der Staatsangehörigkeit bestätigt es maßgeblich das in Deutschland herrschende Abstammungsprinzip (ius sanguinis). Nur wenn mindestens ein Elternteil deutscher Nationalität ist, erwirbt ein Kind ebenfalls automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Das Einbürgerungsverfahren wird erleichtert. Allerdings sieht das Ausländergesetz weiterhin keine doppelte Staatsbürgerschaft vor.

Am 1. Juli löst im Zuge der Währungsunion die Deutsche Mark die ostdeutsche Währung als Zahlungsmittel ab.

Am 12. September wird der Zwei-plus-Vier-Vertrag, der die Wiedervereinigung Ost- und Westdeutschlands in die Wege leitet, zwischen der DDR, der BRD, Frankreich, der Sowjetunion, Großbritannien und den USA in Moskau geschlossen. Mit der Anerkennung der bestehenden Grenzen (d.h. Aufgabe jeglichen Anspruchs auf die ehemaligen ostdeutschen Gebiete in Polen und Russland) erhält Deutschland volle Souveränität. Der Vertrag reglementiert auch den russischen Truppenabzug aus der ehemaligen DDR, der bis 1994 erfolgt sein muss.

Am 3. Oktober tritt die DDR (16,3 Millionen Einwohner) der BRD bei. Mit 79 Millionen Einwohnern ist Deutschland nun das bevölkerungsstärkste Land der Europäischen Gemeinschaft.

Am 24. November ermorden Neo-Nazis Amadeo Antonio aus Angola im ostdeutschen Eberswalde.

Nach Sturz und Hinrichtung des rumänischen Diktators Nicolae Ceauşescu im Dezember 1989 fliehen über 100.000 deutsche Volkszugehörige aus Rumänien in den Westen. Insgesamt steigt die Anzahl von osteuropäischen Flüchtlingen deutscher Volkszugehörigkeit auf fast 400.000 an, wobei die größte Gruppe aus Polen kommt.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion veranlasst in den nächsten zwei Jahren 2 Millionen Aussiedler nach Deutschland auszuwandern.