Chronologie

Januar

Am 18. Januar beschließt das deutsche Innenministerium die Aufhebung des 2012 Abschiebungsstopp für Geflüchtete aus Syrien, die in Deutschland schwere Straftaten begangen haben. Syrien ist nach wie vor ein Konfliktgebiet. 

Armin Laschet wird mit 521 Stimmen CDU-Vorsitzender. Er setzt sich bei einer Stichwahl auf dem CDU-Parteitag 2021 knapp gegen Friedrich Merz durch. 

Am 22. Januar äußert der Frankfurter Grünen-Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour in einem Interview, dass die Grünen bei der Bundestagswahl im September gegen die CDU kandidiere und nicht eine Schwarz-Grüne Koalition anstrebe. Sein Selbstbewusstsein zeigt, dass die Grünen und ihre Umweltprogramm im Mainstream angekommen sind. 

Ende Januar kommt es zu kontroversen Diskussionen über den Impfstoff COVID-19 des britisch-schwedischen Herstellers AstraZeneca: Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) widerspricht dem Empfehlungsentwurf der Ständigen Impfkommission (Stiko), welcher Impfungen für Menschen zwischen 18 bis 64 Jahre empfiehlt. Die EMA lässt den Impfstoff für alle Menschen ab 18 Jahren zu, also auch für ältere Menschen. Die CDU/CSU stimmt der Empfehlung der Stiko zu, während die FDP die Entscheidung scharf kritisiert. Insgesamt ist die Uneinigkeit zwischen den Parteien und den Kommissionen der Grund für eine erhebliche Verunsicherung und fehlende Akzeptanz über Impfstoffe in Deutschland.

Im Prozess um die Ermordung des hessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke fällt am 28. Januar das Urteil: Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main verurteilt den Neonazi Stephan Ernst zur Höchststrafe, lebenslänglich ohne Aussicht auf Bewährung. Auslöser für das Mordmotiv seien Aussagen des CDU-Politikers Lübcke gewesen, der die Aufnahme von Geflüchteten und Merkels Asylpolitik unterstützt hatte. Dies war das erste Attentat auf einen Amtsträger seit dem Zweiten Weltkrieg, aber nicht das erste politisch motivierte Verbrechen von Stephan Ernst. Der Mitangeklagte Markus H. kommt auf Bewährung frei.

Februar 

Am 1. Februar fordert Frankreich Deutschland auf, die russischen Gaspipelines aufzugeben. In den USA äußert sich auch Biden zum Deal Europas mit Russland und betont die zu große Abhängigkeit von russischer Energie.

In der WDR-Talkshow “Die letzte Instanz” diskutiert Moderator Steffen Hallaschka mit prominenten, ausschließlich weißen Gästen über das Thema Rassismus. Die Diskussion löst einen Shitstorm in verschiedenen sozialen Medien aus. Hintergrund der Diskussion ist, dass Moderator Micky Beisenherz, Entertainer Thomas Gottschalk, Schauspielerin Janine Kunze und Schlagersänger Jürgen Milski gemeinsam mit Moderator Steffen Hallaschka unter anderem die Frage diskutieren, ob man das Wort “Zigeunersauce” noch sagen darf. Dabei beurteilte die rein weiße Besetzung des Formats ohne eigene Rassismuserfahrung, ob Begriffe rassistisch sind. Der Fernsehsender entschuldigte sich daraufhin für das Format sowie die Besetzung. Auch der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma kritisiert die Sendung scharf. Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats betont, dass er mit Fassungslosigkeit die ablehnende Fremdbezeichnung von Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft verfolgt hat. Er habe den Eindruck, dass diese Sendung mit Antiziganismus und dümmlichen Auftritten Quote machen” wolle. 

Am 10. Februar twittert der Welt-Journalist Ulf Poschardt einen Artikel über Merkels Verlängerung des Lockdowns bis zum 14. März und nimmt den grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, aufs Korn, der vor einer “Öffnungsorgie” warnt. Die Wortwahl Kretschmanns wird äußerst kritisch gesehen. Poschardt schreibt: “Das Wort “Öffnungsorgie” bringt Freiheitsverachtung, Lustfeindlichkeit und Autoritätsfetisch zusammen. Es ist das ekelhafteste Wort der aktuellen Debatten. (Dass ausgerechnet der einst ökolibertäre Kretschmann es benutzt: bitter)”

Im Februar entzündet sich eine Debatte über die NS-Geschichte in Deutschland. Die Künstler Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah diskutieren auf Instagram über Kontinuitäten des Nazi-Kapitals und prägen den Begriff “Deutsche mit Nazihintergrund”.  Dieser Begriff hat seitdem einige Abwehrreflexe in der Presse und in den sozialen Medien ausgelöst. Die Zeit berichtet, dass Hilal und Varatharajah offenbar einen wunden Punkt getroffen haben. Sie sprechen das selten beachtete Thema des Nazi-Erbes in Deutschland an – und die Frage, wie die heutige Kulturelite noch immer vom Kapital profitiert, das ihre Familien während des Nationalsozialismus erwirtschaftet haben.

März 

Ende 2020 beschließt die Innenministerkonferenz die Aufhebung des Abschiebestopps nach Syrien, der seit 2012 aufgrund des anhaltenden Bürgerkriegs in Syrien galt. Ab dem 1. Januar soll das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) jeden Einzelfall eingehend prüfen und versuchen, die Abschiebung zu erleichtern. Die Presse berichtet, dass nun, drei Monate nach der Entscheidung, nichts passiert ist und die Ankündigung der Abschiebung von Straftätern reine Rhetorik war.

Am 3. März legt die AfD erfolgreich Widerspruch gegen die Einstufung der Partei als Prüffall durch den Verfassungsschutz ein. Der Verfassungsschutz hatte die Partei im Februar vom Prüffall auf einen Verdachtsfall hochgestuft. Diese Einstufung hätte für die Partei erhebliche Folgen: Mit der Bewertung als Verdachtsfall gehen neue Befugnisse für das Bundesamt für Verfassungsschutz einher. So dürfe der Inlandsnachrichtendienst mit sogenannten “nachrichtendienstlichen Mitteln” überprüfen. Das bedeutet konkret, dass beispielsweise die Kommunikation wichtiger Partei Akteure abgehört werden darf oder andere Spionage Mittel eingesetzt werden dürfen. Der Verfassungsschutz hatte zuvor sowohl die rechtsextreme Fraktion als auch den Jugendflügel der Alternative für Deutschland als Verdachtsfall bezeichnet und dies auf die gesamte Partei ausgeweitet.

In Baden-Württemberg wird ein Polizeieinsatz gegen Flüchtlinge in einer Flüchtlingsunterkunft in Ellwangen durchgeführt. Experten erklären diesen Einsatz für rechtswidrig. 

Ein 19-Jähriger bricht in einer Zelle der Polizeiwache Delmenhorst zusammen und stirbt später im Krankenhaus. Qosay K. war zuvor von der Polizei in einem Park festgenommen worden, nachdem er angehalten worden war. Kommentare in den sozialen Medien werfen Fragen über die Darstellung des Vorfalls durch die Polizei als “tragischer Unfall” auf.

Die zwiespältige Haltung der deutschen Regierung gegenüber AstraZeneca scheint das Zögern und Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber Impfstoffen zu verstärken. Berichten zufolge verursachte der AstraZeneca Impfstoff Blutgerinnsel und andere Nebenwirkungen, für die es weitere Untersuchungen bräuchte. Merkel kündigt die bisher härteste Ausgangssperre in Deutschland an und macht dann nach heftigen Gegenreaktionen doch einen Rückzieher. 

Bundestagsabgeordnete von Angela Merkels CDU treten zurück, nachdem ihnen Korruption und Vorteilsnahme bei der Beschaffung von Masken für ihre Firmen vorgeworfen wird. Unions-Bundestagsabgeordnete kassierten sechsstellige Summen aus dem Maskenbeschaffungsprogramm der Bundesregierung. Ausgelöst wurde die aktuelle Krise durch Geschäfte der Abgeordneten Georg Nüßlein (CSU) und Nikolas Löbel (CDU). Löbel hat daraufhin sein Bundestagsmandat mit sofortiger Wirkung niedergelegt und Nüßlein will nicht mehr für den Bundestag kandidieren. Die so genannte “Masken-Affäre” um Nüßlein und Löbel schadet dem Ruf der Union extrem. 

Nach Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft München wegen des Verdachts der Bestechung, hob der Deutsche Bundestag am 4. März 2021 die politische Immunität von Axel Fischer (CDU) auf. Ein weiterer Skandal, der dem Ansehen der CDU und CSU kurz vor der Bundestagswahl im September enorm schadet. 

Im selben Monat legt auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Tobias Zech sein Mandat wegen möglicher “Interessenkonflikte” und Vorwürfen der Verknüpfung von Mandat und unternehmerischer Tätigkeit nieder. 

April 

Im April sorgt der Auftritt des bayerischen Kabarettisten Helmut Schleich in seiner Sendung “SchleichFernsehen” in schwarzer Maske für Empörung in den sozialen Medien. In dem Sketch verkleidete sich der weiße Kabarettist als fiktiver schwarzer Diktator. 

Anfang April versammeln sich in Stuttgart sogenannte “Querdenker”, um sich gegen die politisch initiierten Covid-Maßnahmen zu wehren. Die Behörden gingen zunächst von etwa 2.500 Teilnehmern aus, allerdings kamen mehr als 10.000 Menschen zu den Demonstrationen. Bei den Querdenker-Demonstrationen versammeln sich vor allem Menschen, die sich von allen etablierten Medien abgewandt haben und sich, so nd-aktuell, in ein Paralleluniversum zurückgezogen haben. 

Im April entscheidet das Bundesverfassungsgericht, die Berliner Mietpreisbremse zu kippen. Konkret bedeutet dies, dass die Mietpreisbremse Sache des Bundes und nicht der Länder ist. Die vom Berliner Abgeordnetenhaus im Januar 2020 beschlossene Mietpreisbremse für mehr als 1,5 Millionen Wohnungen war ein zentrales Anliegen der Regierungskoalition aus Mitte-Links-Sozialdemokraten, Grünen und Linkspartei. 

Die New York Times berichtet über die mögliche politische Landschaft ab September, wenn Merkel und ihre Regierung aus dem Amt scheiden. Dem Journalisten Steven Erlanger zufolge werden die Grünen das von Merkel hinterlassene Vakuum füllen. Er berichtet auch, dass die Grünen nicht mehr die Partei sind, die man zu Zeiten des Kalten Krieges kannte. Die Grünen seien laut des Autors nun zentristisch und bedacht darauf, wie Deutschland sich verändern müsse, ohne sich von großen Geschäften zu entfernen. Mit der Wahl der Grünen zur führenden Partei könnte Deutschland ein Signal des Wandels in ganz Europa aussenden, so Erlanger. Es wäre auch ein Zeichen für eine entschlossenere Außenpolitik, insbesondere im Hinblick auf die Beziehungen zu China und Russland. 

Am 19. April haben die Grünen zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine Kanzlerkandidatin aufgestellt. Die Grünen wählten Annalena Baerbock zur ersten Kanzlerkandidatin der Partei in ihrer 41-jährigen Geschichte. Bei einer internen Sitzung des CDU-Bundesvorstandes sprachen sich führende Parteimitglieder für den gemäßigten Armin Laschet als Kanzlerkandidaten aus. Der CDU-Kandidat Laschet wurde von dem konservativeren bayerischen CSU-Kandidaten Söder herausgefordert, der in den Umfragen führte, aber die verbindliche Abstimmung der Kreisvorsitzendenkonferenz mit 31:9 verlor. Merkels Konservative entschieden sich für Armin Laschet als Kanzlerkandidaten im Herbst. 

Für großes Aufsehen sorgte Ende April ein Video, in dem 50 deutschsprachige Schauspieler und zwei Regisseure mit scheinbar satirisch gemeinten Kommentaren die COVID-Politik der Regierung sowie die Medienberichterstattung kritisierten. Unter dem Hashtag #allesdichtmachen erntete das Video viel Kritik. Die Vorwürfe lauten, dass die Videos alles andere als kluger Protest gegen unverhältnismäßige Lockdown Maßnahmen sind, sondern vielmehr unnötiger Zynismus. Zudem sei eine Affinität zur Verschwörungsszene offensichtlich, so die Zeitung Neues Deutschland. Bekannte Teilnehmer dieser Aktion sind Jan Josef Liefers, Heike Makkatsch und Volker Bruch. 

Mai

Der ehemalige Torhüter von Borussia Dortmund und Arsenal, Jens Lehmann, sorgte mit einer rassistischen Nachricht an den ehemaligen Fußballprofi Dennis Aogo für Empörung und verlor daraufhin seinen Posten als Aufsichtsratsmitglied beim Berliner Bundesligisten Hertha BSC. Lehmann schrieb per WhatsApp an Aogo: “Ist Dennis eigentlich euer Alibi-Schwarzer?” und versah den Satz mit einem lachenden Smiley. Die WhatsApp-Nachricht wurde von Aogo auf Instagram veröffentlicht. Lehmanns Vertrag mit Hertha BSC wurde daraufhin gekündigt. Nach diesem Vorfall stimmten die Grünen mit überwältigender Mehrheit dafür, Boris Palmer, den Oberbürgermeister Tübingens, wegen rassistischer Äußerungen gegen Aogo abzuwählen. Palmer hatte Aogo in einem Facebook-Posting als “bösen Rassisten” bezeichnet und eine rassistische Beleidigung verwendet. 

Der CDU-Maskenskandal weitet sich aus und soll ein noch größeres Ausmaß haben als bisher angenommen. Markus Söder muss sich rechtfertigen, ob er seine Partei noch im Griff hat, denn der Korruptionsskandal um die Beschaffung von medizinischen Masken geht weiter. Im Mittelpunkt steht nun Andrea Tandler, die Tochter von Gerold Tandler, von 1971 bis 1978 Generalsekretär unter Franz Josef Strauß. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn steht in der Kritik, weil er laut “Spiegel” persönlichen Kontakt zu Andrea Tandler gehabt haben soll. Tandler soll über 30 Millionen Euro an Provisionen kassiert haben. Die Presse spricht von Clan-Kriminalität und Korruption. 

Während des Fastenmonats Ramadan eskaliert der israelisch-palästinensische Konflikt weiter: Israelische Streitkräfte stürmen die Al-Aqsa-Moschee in der Jerusalemer Altstadt, in der sich heilige Stätten für Juden, Muslime und Christen befinden. Daraufhin schlägt die Hamas im belagerten Gazastreifen mit Raketen zurück, und es kommt zu einem elftägigen Krieg, bei dem 232 Palästinenser und 12 Israelis sterben. Ein Live-Interview der Deutschen Welle mit Ali Abunimah, einem bekannten palästinensisch-amerikanischen Journalisten, wird von den großen deutschen Medien scharf verurteilt. Nach dem Interview übt der Journalist Kritik an der Deutschen Welle. Er betont, dass Deutschland durch seine militärische, finanzielle und diplomatische Unterstützung die Verantwortung für Israels “Verbrechen” gegen das palästinensische Volk trägt. Die Deutsche Welle entschuldigt sich kurz darauf für Abunimahs “Antisemitismus” und “Unterstützung des Terrorismus”.

Mitte Mai veröffentlichte die Die Welt einen kritischen Meinungsartikel über geschlechtergerechte Sprache in Deutschland. Der Artikel verdeutlicht, dass die Ablehnung einer geschlechtergerechten Sprache in Deutschland wächst. Laut einer Umfrage von Infratest Dimap von Mitte Mai lehnt die Mehrheit der Deutschen die Berücksichtigung der verschiedenen Geschlechter in der Sprache ab. Im Deutschen wird die Geschlechtsneutralität durch eine Partizip-Konstruktion (“Zuhörende”), Gender-Sternchen oder eine Sprechpause signalisiert. Auch die politischen Parteien in Deutschland zeigen unterschiedliche Einstellungen zur geschlechtergerechten Sprache: Die Grünen, die sich besonders für politische Korrektheit einsetzen, sind mit knapper Mehrheit (48 Prozent) gegen geschlechtergerechte Sprache. Bei den Anhängern aller anderen Parteien überwiegt die Kritik: 57 Prozent der SPD-Anhänger sind dagegen, 68 Prozent der CDU/CSU-Anhänger; es folgen die Linke mit 72 Prozent, die FDP mit 77 und die AfD mit 83 Prozent Ablehnung. 

Deutschland erkennt die Kolonialverbrechen in Namibia als Völkermord an und will auch Reparationszahlungen leisten. Das Deutsche Reich war von 1884 bis 1915 die Kolonialmacht im damaligen Deutsch-Südwestafrika und schlug Aufstände brutal nieder. Während des Herero- und Nama-Krieges von 1904 bis 1908 kam es zu einem Massenmord, der als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts gilt. Historiker schätzen, dass 65.000 von 80.000 Herero und mindestens 10.000 von 20.000 Nama getötet wurden. Seit 2015 verwendet das deutsche Außenministerium den Begriff Völkermord für diese Massaker. Nun werden die Gräueltaten auch offiziell als Völkermord bezeichnet. Mitte Mai hat die Bundesrepublik ein Abkommen mit Namibia geschlossen, das eine Entschuldigung und Wiedergutmachung für den Völkermord an den Herero und Nama vorsieht. Ende Mai meldet die Presse, dass die geplante Wiedergutmachung von einigen ethnischen Gruppen abgelehnt wird. Namibias größte Tageszeitung The Namibian bezeichnet den Diskurs über “Versöhnung” als verspätet und unaufrichtig und gibt die Reaktion der Oppositionsparteien in Namibia auf die deutsche Erklärung in ihrer Schlagzeile vom 28. Mai wieder: “Deutsches Genozid-Angebot ‘eine Beleidigung'”. 

Juni

Am 23. Juni hält Merkel ihre letzte Rede im Bundestag vor der letzten Sommerpause ihrer Amtszeit. Sie setzt sich weiterhin für eine gemeinsame Asylpolitik innerhalb der EU ein. Außerdem betont sie, dass sie sich ein besonderes Verständnis für Ostdeutsche und die Transformation ihrer Lebenswelt seit der Wende wünscht. Sie fordert auch eine Erhöhung der Militärausgaben im Rahmen der deutschen Verpflichtungen gegenüber der NATO. Ihr Vermächtnis wird in der Presse als das eines vorbildlichen Krisenmanagers gepriesen, aber teilweise auch kritisch als Ära des Stillstandes gesehen. 

Bloomberg berichtet, dass “die Berliner Stadtverwaltung gezwungen werden könnte, große Vermieter wie die Vonovia SE aufzukaufen, nachdem Aktivisten nach eigenen Angaben genügend Unterschriften gesammelt haben, um im September ein Volksbegehren auf den Stimmzettel zu setzen”. Die Initiative “Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co” möchte einen weiteren Anstieg der Mieten verhindern. Die Bewegung gewann im April an Schwung, als die Berliner Mietpreisbremse vom höchsten deutschen Gericht gekippt wurde, was Tausende von Mietern dazu zwang, Mietkürzungen zurückzuzahlen. 

Juli 

Am 16. Juli, dem Tag, an dem Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und die Nachbarländer Belgien, Luxemburg und die Niederlande von Flutkatastrophen heimgesucht werden, macht Merkel ihren ersten Staatsbesuch in den USA unter Präsident Biden. Auf der Pressekonferenz spricht Merkel über die Überschwemmungen, den Klimawandel und die gemeinsamen geopolitischen Ziele Deutschlands und Amerikas in Bezug auf weltweite Impfungen sowie über Meinungsverschiedenheiten in den Beziehungen zu Russland und China. Die Fluten sind Katastrophen eines neuen Ausmaßes: Innerhalb von 24 Stunden fielen in Teilen der beiden Staaten zwischen 100 und 150 Liter Regen pro Quadratmeter. Der Großteil der Wassermassen prasselte in einem kurzen Zeitfenster von zehn bis 18 Stunden nieder. Besonders betroffen ist der Kreis Ahrweiler. Die Zahl der Toten wird auf 180 geschätzt. Die Katastrophe löst eine Diskussion über die Zukunft Deutschlands angesichts des Klimawandels und den Umgang mit Risiken aus. Zudem wird der Landrat des Kreises Ahrweiler der fahrlässigen Tötung verdächtigt. Nach der Hochwasserkatastrophe ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz gegen den Landrat, weil er nach Angaben mehrerer Quellen vor dem Hochwasser gewarnt worden war. Nach Ansicht von Krisenforschern haben die Deutschen die Fähigkeit verloren, mit Risiken umzugehen, und es ist unabdingbar, präventiv zu denken, denn zum ersten Mal wird der Mehrheit der Deutschen klar, dass der Klimawandel bei ihnen angekommen ist. 

August 

Im August wird die Shortlist für den Literaturpreis der Leipziger Buchmesse bekannt gegeben. Kritiker bemängeln das Fehlen von People of Color unter den Nominierten. Nach Ansicht der Autorin Sibel Schick ist es nicht länger hinnehmbar, dass eine Literaturliste die Perspektiven von Minderheiten kategorisch ausschließt, ob nun absichtlich oder nicht. Gerade in den letzten Jahren gibt es in Deutschland sehr talentierte Stimmen: Romane wie Identitti von Mithu Sanyal, Adas Raum von Sharon Dodua Otoo oder Asal Dardans Reflections of a Barbarian sorgen derzeit für viel Aufmerksamkeit und hohe Verkaufszahlen. 

Mit dem Abzug der letzten US-Soldaten vom Kabuler Flughafen im August 2021 beenden die USA nach fast 20 Jahren den Militäreinsatz in Afghanistan. Wegen der sich rapide verschlechternden Lage werden Deutsche evakuiert. Afghanische Staatsbürger jedoch werden oft zurückgelassen, was heftig kritisiert wird. Angesichts der katastrophalen Lage der Bevölkerung in Afghanistan nach der Machtübernahme durch die Taliban berufen sich deutsche Politiker auf die Mitverantwortung Deutschlands für den Einmarsch der NATO in Afghanistan 2001 und die anschließende Besetzung des Landes. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier etwa nennt die Ereignisse eine “menschliche Tragödie” und betont, die Bilder der Verzweiflung aus Kabul seien beschämend für den Westen und auch für Deutschland. Angela Merkel wirft einen selbstkritischen Blick auf den internationalen Militäreinsatz in Afghanistan. Sie sagt, der Kampf gegen den Terrorismus “ist nicht so gelungen, wie wir uns das vorgenommen haben…Das ist eine bittere Erkenntnis”.

September

Am 10. September ehrt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einem Festakt zum 60-jährigen Bestehen des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens “Gastarbeiter der ersten Generation” und wendet sich gegen Hass und zitiert das türkische Lied Gurbet von Özdemir Erdoğan, und erkannt offiziell an, dass Heimat als plurale Zugehörigkeit begriffen werden kann: “Heimat gibt es im Plural”. Er betont, dass türkische Einwanderer die deutsche Gesellschaft tief geprägt und mitgestaltet haben und Deutschland ein Land mit “Migrationshintergrund” ist. 

Auf den Wahllisten für den Bundestag kandidieren mehrere Menschen, die sich als transgender oder nicht-binär identifizieren. Unter ihnen ist auch Tessa Ganserer, sie ist die erste Politikerin in Deutschland, die sich bereits während ihrer Amtszeit als Transgender-Frau geoutet hat. Auf dem Wahlzettel steht aber immer noch ihr alter Name “Markus”, den sie vor mehr als drei Jahren abgelegt hat. Das sei schmerzhaft und verletzend für sie, sagt sie in einem Interview. Ganserer steht für die Sichtbarkeit der transgender und nicht-binären Community und ist ein Vorbild für die immer noch unterrepräsentierte LGBTQ*-Community in Deutschland.  

Jürgen Habermas reflektiert die Grundrechtsdebatte in der aktuellen Pandemie-Situation und fragt, welche Pflichten die Prinzipien einer liberalen Verfassung dem Staat im Pandemiefall auferlegen und welchen Handlungsspielraum er gegenüber seinen Bürgern hat. Seit Beginn der Pandemie wird in Deutschland und anderen demokratischen Ländern immer wieder die Frage nach Eingriffen in die Freiheitsrechte einerseits und dem Schutz vor dem Virus andererseits gestellt. Habermas schildert die Kontroversen in der Debatte um das richtige Vorgehen gegen die Pandemie zwischen “Verteidigern strikter Präventivmaßnahmen und Befürwortern eines freiheitlichen Kurses der Offenheit”.  

Im September sollte die junge Journalistin Nemi El-Hassan das Wissenschaftsformat Quarks des Westdeutschen Rundfunks ausstrahlen. Diese Ankündigung löste eine Debatte in den deutschen Medien aus, in der El-Hassan Antisemitismus vorgeworfen wurde – ein Muster, das seit der Abstimmung des Bundestages über das Verbot der Boykott-, Divestment- und Sanktionsbewegung (BDS) deutlicher erkennbar ist. Es gibt Parallelen zu der Hexenjagd gegen den kamerunischen postkolonialen Theoretiker Achille Mbembe, die von Merkels Antisemitismusbeauftragtem Felix Klein im März 2021 angeführt wurde. Auch der Fall El-Hassan war von konservativen Medien und Politikern in Gang gesetzt worden, diesmal durch einen Bericht der Bild-Zeitung, wonach die Journalistin einige Jahre zuvor an einer pro-palästinensischen Al-Quds-Demonstration in Berlin teilgenommen hatte. Daraufhin hatte sich El-Hassan im Jahr 2014 von der Demonstration distanziert. In der Folge wurden weitere Vorwürfe gegen El-Hassan erhoben, die sich auf Äußerungen zum israelisch-palästinensischen Konflikt, die Teilnahme an Demonstrationen, Besuche in der Imam-Ali-Moschee in Hamburg und Aktivitäten in sozialen Medien beziehen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland äußerte Zweifel, ob El-Hassan als Moderator für den WDR geeignet sei und forderte eine genauere Untersuchung der Vorfälle. Andererseits solidarisierten sich, wie im Fall Mbembe, zahlreiche Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft und Medien in einem offenen Brief mit El-Hassan. Der WDR will El-Hassan deshalb nicht als Moderator von “Quarks” einsetzen. 

Am 22. September wurde das Humboldt-Forum in Berlin mit einem Festakt offiziell eingeweiht. Das Humboldt-Forum im wiederaufgebauten Berliner Schloss ist ein Kulturforum und Universalmuseum, welches das Ethnologische Museum Berlin (ehemals in Dahlem) und das Museum für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen, die Berlin-Ausstellung des Stadtmuseums sowie das Humboldt-Labor der Universität beherbergt. Einige Kunsthistoriker, Ethnologen und Historiker kritisieren seit Jahren das Konzept des Humboldt-Forums. Ein wesentlicher Kritikpunkt ist, dass das ethnographische Museum geraubte Objekte aus der Kolonialzeit lagert und ausstellt. Es wird immer wieder betont, dass Raubkunst zurückgegeben werden muss. Die fehlende Auseinandersetzung des Humboldt-Forums mit der deutschen Kolonialgeschichte und der Verantwortung gegenüber den benachteiligten Völkern führte nach Ansicht der Kritiker zum prominenten Rücktritt von Bénédicte Savoy aus dem Beirat. Bei der Eröffnungsfeier sprachen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie. Beide Redner plädierten für einen ehrlichen Blick auf die Geschichte und die Unverzichtbarkeit, dass das Humboldt-Forum tatsächlich zu einem Forum wird, in dem Debatten geführt werden und die vergessene Kolonialgeschichte Deutschlands aufgearbeitet wird. 

Maria Speths Dokumentarfilm Herr Bachmann und seine Klasse wurde mit dem Silbernen Bären der Berliner Filmfestspiele ausgezeichnet und war mehrfach für den Deutschen Filmpreis nominiert. In der dreieinhalbstündigen Dokumentation werden der Lehrer Herr Bachmann, der kurz vor seiner Pensionierung steht, und seine Schüler in ihrem Schulalltag begleitet. Schauplatz des Films ist eine hessische Gesamtschule in der Kleinstadt Stadtallendorf. Eine Besonderheit des Films sind die zwischenmenschlichen Interaktionen zwischen den Schülern und ihrem Lehrer. So betont Herr Bachmann: “Diese Noten sagen überhaupt nichts über dich aus. Sie sind nur eine Momentaufnahme. Was wichtiger ist, ist, dass ihr alle tolle Kinder seid. Tolle Teenager. ”  Die Heterogenität der Klasse ist außerdem äußerst faszinierend. Siebzig Prozent der Stadtallendorfer Bevölkerung haben eine Einwanderungsgeschichte, und fast 5.000 von ihnen sind muslimischen Glaubens. Die meisten Schüler kommen aus Arbeiterfamilien. Sie haben z.B. türkische, griechische, italienische, bulgarische, russische oder deutsche Wurzeln. Diese Vielfalt ist auch in der Klasse von Herrn Bachmann vertreten und bietet einerseits viel Konfliktpotenzial, was im Film immer wieder gezeigt wird, und andererseits ein Gefühl der gemeinsamen Geschichte und des Gemeinschaftserlebnisses. Der Film zeigt die zentrale Rolle des Lehrers für den Lernerfolg und die Motivation sowie die Bedeutung des persönlichen Umgangs miteinander, insbesondere vor dem Hintergrund der Erfahrung des Einschlusses und des Heimunterrichts während der Pandemie COVID-19. 

Oktober

Am 8. Oktober kommentiert der Satiriker Jan Böhmermann die Tatsache, dass die AfD nach ihrem zweiten erfolgreichen Bundestagswahlergebnis einen Rechtsanspruch auf Millionen Steuergelder für ihre hauseigene Stiftung hat. In seiner Sendung “ZDF Magazin Royale” seziert Jan Böhmermann die AfD und ihre Desiderius-Erasmus-Stiftung. 

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hält an seiner Idee fest, den sogenannten COVID-Notstand am 25. November auslaufen zu lassen. Während er den Ausnahmezustand nach 19 Monaten seit dem 28. März 2020 beenden will, betont er, dass das Ende der Pandemie-Situation nicht das Ende aller Maßnahmen bedeute und weiterhin ein Zustand besonderer Vorsicht erforderlich sei. Er sagt, dass Deutschland vom Ausnahmezustand in den Zustand der besonderen Vorsicht übergeht.

Am 17. Oktober 2021 schreibt der US-Journalist Ben Smith in der New York Times einen investigativen und umfassenden Bericht darüber, wie Bild-Chefredakteur Julian Reichelt bei Bild ein Klima geschaffen hat, in dem sich Sex, Journalismus und Firmengelder vermischen. Der Bericht der New York Times erhebt schwere Vorwürfe gegen Reichelt. Zu den Vorwürfen gehören Machtmissbrauch, Mobbing, Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen, sexuelles Fehlverhalten und seine Beziehungen zu jungen weiblichen Mitarbeitern in der Redaktion. Der Artikel erregt weltweit Aufsehen und setzt den Medienriesen Axel Springer unter Druck. Einen Tag nach der Veröffentlichung der New York Times gibt Springer seine Trennung von Reichelt bekannt. 

November

Am Morgen des 1. November stirbt der 25-jährige Giorgos Zantiotis in Wuppertal im Polizeigewahrsam. Er war zuvor von mehreren Polizeibeamten brutal festgenommen worden. Seine Schwester hat Berichten zufolge ein Video in den sozialen Medien veröffentlicht, das zeigt, wie er von der Polizei gewaltsam überwältigt wird, während er um Hilfe ruft. Giorgos Zantiotis ist ein junger griechischer Arbeiter mit deutscher Staatsbürgerschaft. Sein Tod löste in den sozialen Medien und auf der Straße Wut aus. Kurz nach der Bekanntgabe von Zantiotis’ Tod kommt es zu Demonstrationen gegen Polizeigewalt.  

Österreich verhängt eine neue landesweite Ausgangssperre für Menschen, die nicht vollständig gegen das Coronavirus geimpft sind oder sich gerade von der Krankheit erholt haben. Diese Entscheidung wurde getroffen, da das Land mit den höchsten Infektionsraten seit Beginn der Pandemie zu kämpfen hat. Deutschland, ebenfalls von hohen Infektionsraten betroffen, erwägt einen Lockdown für nicht Geimpfte.

In seiner Kolumne in der Wochenzeitung Focus erörtert Ahmad Mansour, Geschäftsführer der Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention, einer Organisation, die die Ausbreitung des fundamentalistischen Islams in Deutschland verhindern will, Rassismus als ein universelles Problem, das seiner Meinung nach von “Randgruppen” übernommen wurde. Er untersucht die Machtstrukturen im Diskurs über Rassismus in Deutschland. Er argumentiert, dass die so genannte “Identitätspolitik” ein dualistisches Weltbild darstellt, das die Bevölkerung in Minderheiten und Mehrheiten unterteilt. Dieser Rahmen, so Mansour, infantilisiere Minderheiten und beanspruche die Deutungshoheit über den Rassismusdiskurs. Das Problem sei, dass es kaum Widerstand von etablierten Institutionen wie der Bundeszentrale für politische Bildung oder der Bundespolitik gebe. Er beklagt, dass der Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus umfangreiche Maßnahmen auf Kosten der Bekämpfung von Islamismus und Rassismus unter Minderheiten entwickelt, die seiner Meinung nach genau dieser identitätspolitischen Logik folgen. Sein Artikel ist eines der differenzierteren Beispiele für die Gegenreaktion auf die vermeintlichen Auswüchse des kulturellen Liberalismus im Medienestablishment und in der Bevölkerung in Deutschland, einschließlich der Sorge, dass im Namen der Toleranz eine neue, politisch korrekte Form der Intoleranz gegenüber der Mehrheit entstehen könnte. 

Dezember

Die Berliner Bürger haben für die Enteignung großer Wohnungsbaugesellschaften gestimmt, aber die rot-rot-grüne Regierungskoalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Linkspartei zögert. Die Initiatoren der Initiative sehen in der Nichtumsetzung der Forderungen des erfolgreichsten Volksentscheids in der Geschichte Berlins einen Angriff auf die direkte Demokratie. Der Volksentscheid über die Enteignung großer Immobiliengesellschaften ist nach wie vor heftig umstritten. Der Spitzenkandidat der Berliner Linkspartei, Klaus Lederer, kündigte einen weiteren Volksentscheid an, falls ein Gesetz zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen unter der neuen Koalition nicht zustande kommt. Die Linkspartei sei die einzige Partei, die sich ernsthaft für die Sozialisierung des Wohnungsbaus einsetze, so Lederer. Er betonte, dass seine Partei dieses Projekt nicht einfach aufgeben werde. Bei dem Volksentscheid am 26. September hatten 59,1 Prozent der Wähler für die Enteignung gestimmt. In den Koalitionsverhandlungen hatten sich SPD, Grüne und Linke darauf verständigt, zunächst eine Expertenkommission zur Prüfung der Umsetzung einzusetzen und ihr dafür ein Jahr Zeit zu geben. Die Initiative “Deutsche Wohnen und Co enteignen” hatte kürzlich Forderungen für die Zusammensetzung dieser Expertenkommission gestellt. So sollten genau 59,1 Prozent der Mitglieder die Stadtgesellschaft vertreten. Vertreter der Immobilien- und Finanzwirtschaft sollten der Kommission nicht angehören, so die Aktivisten. Insgesamt ist das Vorhaben bei SPD und Grünen umstritten, während sich die Linkspartei als einzige der drei Parteien für die Enteignung aussprach.

Angela Merkel verlässt ihr Amt mit dem Großen Zapfenstreich am 2. Dezember. Zu den vom Stabsmusikkorps gespielten Liedern gehört auch das 1974 von der Punksängerin Nina Hagen gesungene “Du hast den Farbfilm vergessen”. Über ihre Songauswahl wurde in der internationalen Presse ausführlich berichtet. 

Seit dem 08. Dezember 2021 ist Olaf Scholz der neunte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Bundespräsident Steinmeier ernannte den SPD-Politiker zum Nachfolger von Angela Merkel.

Bei seinem Antrittsbesuch in Polen Mitte Dezember betonte Bundeskanzler Olaf Scholz die Bedeutung gutnachbarschaftlicher Beziehungen. Olaf Scholz und der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki diskutieren über die politische Behandlung von Flüchtlingen an der polnisch-weißrussischen Grenze. Wie der Spiegel berichtet, sicherte Scholz der polnischen Regierung auch Unterstützung im Streit um Flüchtlinge im Grenzgebiet zu Weißrussland zu. Scholz bezeichnet das Vorgehen des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko als “unmenschlich”. Die EU wirft Lukaschenko vor, Flüchtlinge gezielt an die polnisch-weißrussische Grenze zu schmuggeln und Geflüchtete als menschliche Schutzschilde zu benutzen. Weder der Spiegel noch andere Medien berichten über die katastrophalen Zustände an der polnisch-weißrussischen Grenze. Dennoch sitzen die Flüchtlinge fest und leiden unter den harten Wetterbedingungen. 

Medienberichten zufolge wird der ehemalige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz künftig für den deutsch-amerikanischen Technologie-Investor Peter Thiel arbeiten. Der 35-Jährige habe bestätigt, dass er ab dem ersten Quartal als “globaler Stratege” für Thiel Capital in Kalifornien arbeiten werde, berichten die österreichischen Nachrichtenmedien Kronen Zeitung und ZDF am Donnerstag unter Berufung auf Kurz. Der gebürtige Frankfurter Thiel war einer der Gründer des Online-Bezahldienstes PayPal und der erste externe Investor bei Facebook (heute Meta). Er gilt als politisch konservativ und gehört zu den Anhängern des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Kurz war Anfang Oktober wegen anhaltender Korruptionsvorwürfe als österreichischer Bundeskanzler zurückgetreten und hatte sich Anfang Dezember von allen politischen Ämtern zurückgezogen.

Ende Dezember berichtet die Deutsche Welle, dass einige Impfgegner drastische Maßnahmen ergreifen, um der Impfung zu entgehen, indem sie in rechtsextreme Kolonien in Nord- und Südamerika auswandern. So sind zum Beispiel 2021 mehr als 1000 Deutsche nach Paraguay ausgewandert.

2020

Januar

Am 27. Januar bestätigen bayerische Behörden die erste Corona-Infektion Deutschlands im Landkreis Starnberg.

Februar

Am Mittwoch 19. Februar begeht der rechtsextreme Amokläufer Tobias Rathjen, dessen rassistisches Manifest den Einfluss der Q-Bewegung erkennen ließ, einen Terroranschlag auf zwei Shishabars in der hessische Stadt Hanau. Er erschießt neun junge Menschen, alle mit Migrationshintergrund: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili-Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov.  Danach erschießt er seine Mutter Gabriele Rathjen und sich selbst. Am selben Tag hatte die Bundesregierung Gesetze gegen Hass im Internet verschärfte. 

Mutmaßliche Merkel-Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer tritt vom CDU-Vorsitz und der Kanzlerkandidatur zurück infolge einer Regierungskrise in Thüringen, wo die Zusammenarbeit der Christ-Demokraten mit der AfD gegen die Linke bei der Wahl zur Landesregierung als Tabu-Bruch gewertet wurde. Der Führungsanspruch Kramp-Karrenbauers ist schwer beschädigt, als der wenig bekannte FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit Stimmen von CDU und AfD zum Ministerpräsident gewählt wird. Infolgedessen tritt Friedrich Merz, der Herausforderer Merkels bei der Vorstandswahl 2018, von seiner Position im privaten Sektor zurück, um “die CDU noch stärker bei ihrer Erneuerung zu unterstützen.”

Am 27. Februar wird der 46-jährige rechte YouTuber Tim Kellner freigesprochen von einer Beleidigungsklage seitens der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli, nachdem er die SPD-Politikerin palästinensischer Herkunft auf seinem populären Kanal als “Islamische Sprechpuppe” und “Quotenmigrantin der SPD” bezeichnete. Chebli nennt das Urteil “eine bittere Nachricht für alle, die von Hass und Hetze betroffen sind, die von Rassisten beleidigt, bedroht und angegriffen werden.”

Die Presse im englischsprachigen Raum nimmt unterdessen die 19-jährige deutsche Bloggerin Naomi Seibt zur Kenntnis. Die sogenannte “Anti-Greta” wird durch Unterstützung der US-amerikanischen konservativen Denkfabrik Heartland Institute zum Social-Media-Star auf YouTube, wo sie den Klimawandel leugnet und konservative Ansichten zu Feminismus und Migrationspolitik äußert. Sie wird eingeladen, an einem Podiumsgespräch zum Thema Klima bei CPAC 2020 teilzunehmen. Der AfD ist sie ebenso willkommen: Obwohl sie ihre Parteimitgliedschaft dementiert, tritt sie bei Veranstaltungen der rechtsextremen Partei auf und gibt 2019 zu, die AfD gewählt zu haben.  

März

Im März starten konservative Medien und Politiker, u.a. Merkels Antisemitismusbeauftragter Felix Klein, eine Kampagne, den geplanten Eröffnungsvortrag des Philosophen Achille Mbembe bei der Ruhrtriennale 2020 in Bochum zu verhindern. Dem führenden Theoretiker des Postkolonialismus aus der ehemaligen deutschen Reichskolonie Kamerun werden Antisemitismus, Relativierung des Holocaust und Infragestellung des Existenzrechts Israels vorgeworfen, nachdem er Kritik an der israelischen Politik gegenüber Palästinensern geübt hatte. In Nordrhein-Westfalen wirft FDP-Landtagsabgeordnete Lorenz Deutsch Mbembe “postkoloniale Israelfeindschaft” vor. Im vorigen Jahr verbot eine überwiegende Mehrheit des Bundestags die öffentliche Finanzierung von Veranstaltungen der von Palästinensern geführten Bewegung für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS). Mbembe kontert, dass er keinerlei Assoziation mit BDS hat, dass “eine angemessene Kritik von Kolonialismus und Rassismus nichts mit der Relativierung des Holocaust zu tun” hat, sondern “ein Schlüsselelement im Kampf gegen Antisemitismus” ist, und bezeichnet die Schmutzkampagne gegen ihn als rassistischen Versuch, seine Forschung zu kriminalisieren. Zahlreiche internationale Forscher erklären sich solidarisch mit Mbembe und kritisieren die Einseitigkeit der deutschen Gedenkkultur.

Deutschland geht ins Home-Office”: Laut einer aktuellen Umfrage des Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) unter mehr als 1.000 Angestellten wären 75,4 Prozent grundsätzlich bereit, während der Coronavirus-Krise im Home-Office zu arbeiten.

Ab 16. März werden Kontrollen an Deutschlands Binnengrenzen zu Österreich, der Schweiz, Luxemburg, Dänemark und Frankreich wieder durchgeführt. Zuvor hatten bereits andere EU-Staaten ihre Grenzen weitgehend dicht gemacht, darunter Dänemark, Polen, die Slowakei, Tschechien und Österreich. Eine weltweite Reisewarnung gilt ab dem 17. März.

Am 17. März verkünden das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) und die Internationale Organisation für Migration (IOM) gemeinsam eine vorübergehende Aussetzung der Ansiedlung von Flüchtlingen aufgrund von COVID-19. 

Auch am 17. März werden die Kandidatinnen und Kandidaten der aktuellen Staffel der Reality TV-Serie Big Brother Deutschland, die seit 6. Februar in Klausur lebten, über die Pandemie live informiert

Am 22. einigen sich Bund und Länder auf die erste bundesweite Lockdown-Verordnung zur Bekämpfung des Coronavirus in Deutschland. Im Unterschied zu den meisten anderen westeuropäischen Staaten schreibt die deutsche Regierung keine Ausgangsbeschränkung vor und beschließt stattdessen strikte Maßnahmen zur sozialen Distanzierung. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und andere Behörden veröffentlichen Merkblätter und Infografiken zu Hygieneregeln in verschiedenen Sprachen.

April

Anfang April steigt die Zahl der globalen Corona-Fälle auf über eine Million. Deutschland hat mit 1000 Corona-Todesopfern eine der weltweit niedrigsten Sterblichkeitsraten. In diesem Zusammenhang kristallisieren sich Einstellungen zum Umgang mit der Pandemie in den Medien. In den USA sowie im deutschsprachigen Raum wird über das deutsche “Corona-Wunder” gestaunt und debattiert. Die entsprechenden Lockdown-Maßnahmen lösen allerdings auch Proteste aus: in der konservativen Presse, wo sie als “Gesundheitsdiktatur” bezeichnet werden, und auf der Straße bei den sogenannten Hygiene-Demos der deutschen Anti-Lockdown-Bewegung, die aus verschiedenen rechtsextremen und verschwörungsgläubigen Gruppen besteht und unter dem Motto des “Querdenkens” in mehreren Städten an Dynamik gewinnt. Andere Kommentare kritisieren die Fetischisierung von Arbeitern mit sogenannten systemrelevanten Berufen. “Nennt sie nicht Helden”, lautet die Schlagzeile einer Kolumne in der Zeit von Alice Bota, die schreibt, dass Heldenanbetung wenig nützt, insbesondere nicht denjenigen, die das höchste Risiko tragen und dafür immer noch unterbezahlt werden.  

Aufgrund der niedrigen Erkrankungszahlen im Land verkündet Merkel am 15. April eine Lockerung des Lockdowns, was allerdings nicht verhindert, dass die Infektionsrate wieder steigt und die Maskenpflicht zuerst in einigen Bundesländern und dann am 22. bundesweit eingeführt wird. 

Deutsche Sportfans kritisieren die Pläne der Deutschen Fußball Liga (DFL), die Bundesliga-Saison im Mai fortzusetzen in der Form von Geisterspielen, die ohne Anhänger im Stadion gespielt werden sollen. In einem Brief an die Öffentlichkeit attackiert die bundesweite Organization deutscher Fanszenen die Entscheidung, die Spiele wieder zu starten, was sie für “schlicht absurd” halten: “Fußball hat in Deutschland eine herausgehobene Bedeutung, systemrelevant ist er jedoch ganz sicher nicht.”

Nachdem Merkels Christdemokraten 2017 mit dem parlamentarischen Aufbruch der AfD an Boden verloren und 2019 in der Wahl zum Europaparlament ein Rekordtief von 29% bekommen haben, werden die Unionsparteien plötzlich populär. Bayern-Premier und CSU-Chef Markus Söder wird in den Medien als Krisenmanager gelobt. Söder überholt sogar Merkel als beliebtester Politiker Deutschlands und geht regelmäßig bei Umfragen als eindeutiger Favorit im Rennen um die Spitzenkandidatur der Union bei der Bundeswahl 2021 hervor, obwohl er selbst behauptet, im nächsten Wahlkampf nicht kandidieren zu wollen. 

Ende April wird der Neonazi Stephan Ernst von dem Bundesanwaltschaft für den Mord des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke angeklagt. Das Attentat auf den CDU-Politiker, der als lokaler Stellvertreter und starker Befürworter der sog. Merkelschen Asylpolitik in der rechten Szene Hessens zum Sündenbock gemacht wurde, war der erste Mordanschlag auf einen Beamten seit dem zweiten Weltkrieg. Die Familie Lübcke, die als Nebenkläger auftritt, glaubt nicht an die Alleintäterschaft Ernsts und fordert, dass auch der Nebenangeklagte Markus Hartmann für den Mord verurteilt wird. Der Spiegel fragt, warum die beiden Männer von den Sicherheitsbehörden als “abgekühlte” Extremisten eingestuft und nicht weiter beobachtet wurden. 

Mai

Am 16. Mai wird die Bundesliga die erste große Sportliga der Welt, die ihre Saison fortsetzt. Besonders auffallend sind beim Fußballverein Borussia Mönchengladbach rund um 13.000 lebensgroßen Pappfiguren, die mit den Gesichtern real existierender Dauerkarteninhaber in ihrem Heimstadion im Borussia-Park aufgestellt werden. 

Juni

Im Sommer werden dank der Black-Lives-Matter-Bewegung Rassismus, Polizeigewalt und das koloniale Erbe Deutschlands zum Thema wie nie zuvor. Im Juni erhält der erste schwarze Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby mehrfache Morddrohungen. Es wird auf sein Wahlkreisbüro in Halle geschossen, nachdem der SPD-Politiker, der in den 80’er Jahren aus Senegal in die DDR eingewanderte, sich kritisch äußert gegenüber der deutschen Tendenz, Rassismus als bloße Ausländer- oder Fremdenfeindlichkeit zu verniedlichen. 

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sagt in einem Interview: “Auch in Deutschland gibt es latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte,” worauf der Bundesinnenminister und ehemalige CSU-Chef Horst Seehofer antwortet: “der Vorwurf eines latenten Rassismus in der deutschen Polizei stößt bei mir auf absolutes Unverständnis.” Seehofer und andere konservative Führungskräfte verteidigen die deutschen Sicherheitskräfte auch gegen progressive Stimmen in der Presse. Als die deutsch-iranische Autor*in Hengameh Yaghoobifarah eine provokante, polizeikritische Kolumne in der Tageszeitung schreibt, wird von Seehofer mit einer Strafanzeige gedroht.  

Die pandemie-bedingte Schließung von Museen, Theatern und Konzerthäusern bedroht die Existenz von Künstlern und Kulturschaffenden. Am 17. Juni stimmt der Bundesrat dem Rettungs- und Zukunftsprogramm NEUSTART KULTUR von einer Milliarde Euro zu. Während die Staatsministerin für Kultur- und Medien Monika Grütters wiederholt für eine Öffnung der Museen plädiert, gibt es auch eine Vielfalt von kreativen Ansätzen, Kulturprogramme virtuell zugänglich zu machen durch Übertragung von Hauskonzerten, Livestream und On-Demand Angeboten von Ausstellungen, Aufführungen, Vorträgen und Festivals. Das Online-Magazin Monopol veröffentlicht eine fortlaufende Serie von Beiträgen zu “Corona-Krise und die Kunst”. 

Mitte Juni kommt es zu einem massiven Corona-Ausbruch in Deutschlands größter Fleischfabrik Tönnies im Landkreis Gütersloh in Nordrhein-Westfalen. Über 1500 Mitarbeiter sind mit dem Virus infiziert. Alle 7000 Mitarbeiter und ihre Familien werden bis 2. Juli unter Quarantäne gesetzt. Der Betrieb muss vorübergehend schließen. Der Ausbruch – kein Einzelfall in der Fleischindustrie – offenbart die branchenüblichen Arbeitsbedingung. Etwa die Hälfte der Arbeiter sind mit Werkverträgen über Subunternehmen beschäftigt, die Mehrzahl stammt aus Polen, Rumänien und anderen osteuropäischen Ländern. Sammelunterkünfte und schlechte Hygienestandards im Betrieb gelten als Ursachen für den Ausbruch. Die Systemrelevanz migrantischer Arbeiter*innen, häufig mit temporären Arbeitsverträgen, in bestimmten Wirtschaftssektoren im Niedriglohnbereich, wo “Home Office” keine Option ist, wie der Fleischindustrie, dem Baugewerbe, der Landwirtschaft, dem Gesundheits- und Reinigungsgewerbe bleibt im Blickfeld der Politik. Ein Verbot von Werkverträgen wird im Bundestag erwogen. 

Juli 

Im Juli werden Rassismusvorwürfe gegen die staatlichen Sicherheitskräfte offenbar durch eine Reihe von Enthüllungen über die Polizei und Bundeswehr gerechtfertigt. In Hessen werden Verbindungen entdeckt zwischen der Polizei und Drohmails mit rassistischen und frauenfeindlichen Inhalten, verschickt vom anonymen Absender “NSU 2.0” an linke Politiker*innen und Journalist*innen sowie eine Anwältin im NSU-Prozess. In mehreren Medienberichten werden auch die rechtsextreme Aktivitäten der Social-Media-Leiter der Bundeswehr Oberstleutnant Marcel Bohnert sowie Hetz-Kampagnen und sogar Umsturzpläne aktiver und ehemaliger Bundeswehrsoldaten in einer Telegram-Chat-Gruppe offenbart. 

Laut einem Bericht im Spiegel versucht ein Netzwerk rechter deutscher Intellektuellen in Kanada, unter ihnen die ehemalige ARD-Sprecherin Eva Herman und ihr Lebensgefährte, der Verschwörungsideologe Andreas Popp, gleichgesinnte Deutsche weg vom “Kriegszustand” in der Heimat in die Provinz Nova Scotia zu locken, um eine rechtsgerichtete “Kolonie” in Cape Breton zu gründen. 

August

Dem akuten Mangel an Pflegekräften soll durch Rekrutierung im Ausland – im Kosovo, den Philippinen und Mexiko – abgeholfen werden, diese Maßnahmen werden jedoch wegen pandemiebedingten Reisebeschränkungen unterbrochen.

Am 27. August einigen sich Bund und Länder außer Sachsen-Anhalt auf eine nationale Schutzmasken-Verordnung mit einer 50-Euro-Strafe für Maskenverweigerer. Konservative Medienorgane wie die von Axel Springer betriebene Welt kritisieren dieses Mandat scharf aus vermeintlich antiautoritären Gründen. Am 29. August versammeln sich auf dem Alexanderplatz in Berlin ca. 18.000 Demonstranten, von den Medien “Corona-Rebellen” geheißen, ohne Masken aber mit lautstarker Propaganda für Donald Trump und Q-Anon. Die deutsche Q-Anon-Bewegung besteht aus einer Koalition von Rechtsextremisten und Verschwörungsgläubigen, unter anderem den sogenannten Reichsbürgern—Anhänger der Theorie, dass Deutschland seit dem Ende des ersten Weltkriegs ununterbrochen durch eine Militärbesatzung insgeheim von Amerika regiert worden sei—die vor der Präsidentschaft Trumps den USA feindlich gesinnt waren, jedoch glauben, dass Präsident Trump vorhat, die Reichsgrenzen von 1871 wiederherzustellen. Zu den Verhafteten gehört der vegane Kochbuch-Autor und selbsternannte “Ultrarechte” Attila Hildmann, dessen eigene Anti-Lockdown-Demo in Juli von den Berliner Behörden verboten wurde.  

September

Im englischsprachigen Raum wird Deutschland weiter als Vorbild gesehen: Laut einer Reportage der britischen Financial Times wird das deutsche Corona-Wunder nicht nur den Führungsqualitäten Merkels, sondern auch der Tradition der Konsenspolitik und dem hohen Maß an sozialem Vertrauen im Land zugeschrieben: “Langsam aber sicher, slow but sure, is the abiding principle that dominates public life. Create consensus where you can; value thoroughness in a politician over rhetorical flourishes.” 

Die Debatte um den Rassismus, der unter der Oberfläche der Konsenspolitik die staatlichen Institutionen durchdringt, erhitzt sich im September weiter. Als das Flüchtlingslager Moria auf dem griechischen Insel Lesbos brennt und Bürgermeister anbieten, einige der über 12.000 obdachlosen Flüchtlinge aufzunehmen, dringt Innenminister Seehofer auf Härte: da die EU-Staaten sich nicht auf eine einheitliche Asylpolitik einigen können, dürfe Deutschland nicht im Alleingang handeln. Die Unionspolitiker einigen sich schließlich auf die Aufnahme von 1.500 Flüchtlingen, überwiegend unbegleiteten Minderjährigen und Familien mit Kindern. Eine einheitliche Asylpolitik der EU steht weiterhin aus, trotz des am 23. September von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen neuen Migrations- und Asylpakets, das “verbesserte und schnellere Verfahren im gesamten Asyl- und Migrationssystem festlegt” und für “gerechte Aufteilung der Verantwortlichkeiten und der Solidarität” plädiert. 

Trotz wiederholter Rechtsextremismus-Skandale in den vergangenen Monaten, in denen die Aufdeckung rassistischer Chatgruppen auf breite Netzwerke faschistischer Polizisten hinweisen, lehnt Seehofer eine rein polizeibezogene Rassismus-Studie ab und verweist auf den Bedarf nach “einem wesentlich breiteren Ansatz für die gesamte Gesellschaft”: “Eine Studie, die sich ausschließlich mit der Polizei und dem Vorwurf eines strukturellen Rassismus innerhalb der Polizei beschäftigt, wird es mit mir nicht geben”, erklärt der CSU-Politiker. 

Am 26. September gesteht der Generalsekretär des Deutschen Fußball-Bund (DFB) Friedrich Curtius Fehler im Umgang mit Mesut Özil, dem früheren deutschen Nationalspieler, der im Vorspiel der Enttäuschung in der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 für heftige Kritik in den deutschen Medien sorgte, als er sich mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan fotografieren ließ. Dem damaligen Arsenal-Spieler Özil wurden doppelte Loyalität und dann die Schuld am WM-Ergebnis angelastet. Am 22. Juli 2018 erklärte er seinen Abschied aus der Nationalmannschaft und äußerte Rassismusvorwürfe gegen den DFB und seine Mitspieler

Am 29. September beriet eine Podiumsdiskussion vor einem Online-Publikum über die Verwendung des Begriffs „Rasse“ im Grundgesetz oder im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes plädiert dafür, den Begriff durch „rassistische Diskriminierung“ oder „rassistische Zuschreibung“ zu ersetzen, weil “Rasse” die Terminologie der Nationalsozialisten reproduziere und die Existenz von Menschenrassen festschreibe. Gegenstimmen betonen, dass „Rasse“ im Recht nicht als biologisches Merkmal, sondern als juristisches Instrument genutzt wird, um Diskriminierung und gerade auch strukturelle Benachteiligung zu benennen. „Rasse“ sei ein soziales Konstrukt und eine Weglassung des Begriffs würde die soziale Realität von Menschen aus den Augen verlieren, die Rassismus erleben. 

Oktober 

Im Oktober rücken Wörter und das deutsche Wortschatz wieder in den Fokus als die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) sich darauf vorbereitet, das deutsche Wort des Jahres auszuwählen. Das Jugendwort des Jahres, das durch eine vom Langenscheidt-Verlag veranstaltete Wahl in München und dieses Jahr zum ersten Mal durch ein Online-Voting-System von Jugendlichen im Internet selbst direkt ausgewählt wird, ist “Lost” im Sinne einer ahnungslosen Person. 

Der Konrad-Adenauer-Stiftung, eine Denkfabrik im Lager der CDU, plädiert gegen den Verbrauch der Namen “Palästina” sowie “Palästinenser” aufgrund deren vermeintlich “antisemitischen Assoziationen”. Der prominente Web-Persönlichkeit Tilo Jung, Moderator des populären YouTube-Interviewprogramms Jung & Naiv, schreibt auf Twitter, “Die Konrad-Adenauer-Stiftung arbeitet daran ‘Palästina’ und ‘Palästinenser’ aus dem Wortschatz zu verbannen”, gefolgt von einem Clowngesicht-Emoji und Bildschirmfotos einer Einladung zur KAS-Veranstaltung namens “‘Palästina’ – Geschichte und Problematik eines Begriffs”. 

Zur selben Zeit verklagen Menschenrechtsverteidiger den Bundestag wegen Verletzung ihrer Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit durch staatliche Vermischung von Antisemitismus und Israelkritik in einem Beschluss, der 2019 die internationale BDS-Bewegung (Abkürzung von “Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen”) zur Unterstützung von palästinensischer Befreiung und Bürgerrechte als antisemitisch verurteilt und zum ersten Mal die finanzielle Förderung von Projekte oder Institutionen, die zum Israelboykott aufrufen, auf Bundesebene verboten hat und von der UNO gerügt wurde. 

Am 19. Oktober berät Kanzlerin Merkel, Gesundheitsminister Jens Spahn und Integrationsministerin Annette Widman-Mauz mit Vertretern von rund 40 Migrantenverbänden über die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Nach einer Studie des OECD sind Migranten von hohen Infektionszahlen und Sterblichkeit besonders hart betroffen. Prekäre Arbeitsverhältnisse in Branchen mit hoher Ansteckungsgefahr und beengte Wohnsituationen sind dabei entscheidende Faktoren.


November

Nach dem Messerangriff in der Basilika Notre-Dame in Nizza am 29. Oktober, worin drei Betende von einem tunesischen Migranten getötet wurden, verteidigt der rechtsliberale Präsident Frankreichs Emmanuel Macron Karikaturen vom Prophet Mohammed, und sein Bildungsminister Jean-Michel Blanquer erklärt den “Islamo-Gauchismus” im französischen Universitätssystem zum Volksfeinde. Spannungen im Bereich Migration und Islam erhöhen sich europaweit, auch im deutschsprachigen Raum: Österreichs konservativer Kanzler Sebastian Kurz reagiert am selben Tag ähnlich als eine Kirche in Wien von einer Menge Jugendlichen türkischer Herkunft gestürmt wird. Er gelobt, Christen und den “europäischen ‘Way of Life’ mit aller Kraft gegen Islamisten und den politischen Islam [zu] verteidigen”, ein Versprechen, dass er noch einmal wiederholt, als am 2. November in Wien 4 Personen getötet und Dutzende verletzt werden in einem Anschlag, der von der IS-Miliz reklamiert wird. 

Bei ihrem Parteitag am 22. November torpediert die Führung der Grünen einen Antrag aus dem linken Flügel der Partei, der lediglich vorgesehen hat, das 1,5-Grad-Ziel des Klimaabkommen von Paris nur als “Maßgabe” und nicht Endziel grüner Politik ins Grundsatzprogramm zu schreiben. Annalena Baerbock, seit 2018 gemeinsam mit Robert Habeck Bundesvorsitzende der Grünen, schließt höhere Emissionsminderungsziele strikt aus, was in den Medien als Signal der Koalitionsbereitschaft an die CDU/CSU gedeutet wird. 

Laut der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) ist das Wort des Jahres “Corona-Pandemie”. Zu den anderen Kandidaten für die Spitzenposition unter den ausgewählten zehn Phrasen gehören auch to “Verschwörungserzählung”, “Gendersternchen” und “Black Lives Matter”.

Spät am 30. November verkündet das Bundesinnenministerium, dass Innenminister Seehofer den rechtsextremen Verein “Sturmbrigade 44” (auch “Wolfbrigade 44”) nach mehreren Razzien in drei Bundesländern als verfassungswidrig verboten hat. In Sachsen-Anhalt wurden ähnliche Durchsuchungen durch die Verwaltungsgerichte verhindert. 

Dezember 

Im Dezember berichten die deutschen Medien über das wachsende Neologismenwörterbuch der Corona-Krise, in dem der neue Wortschatz vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache zusammengetragen wird. Enthalten sind schon mehr als 1000 “neue Wörter sowie bekannte Wörter mit neuen Bedeutungen, die seit Beginn der COVID-19-Pandemie aufgekommen sind, bei denen wir aber noch beobachten, ob sie eine gewisse Verbreitung in die Allgemeinsprache erfahren werden”. Das heißt, man sieht technische und Alltagsbegriffe wie etwa “Mindestabstandsregelung” sowie ”Impfstoffmafia” und andere merkwürdige Formulierungen, deren verbreiteter Gebrauch fraglich bleibt. 

Die digitale Eröffnung des Humboldt Forums in Berlin am 17. Dezember löst eine Diskussionswelle aus, die nach den Protesten und Debatten zum Rassismus im Sommer viel breiter und kritischer den Umgang mit dem kolonialen Erbe Deutschlands thematisiert. Besonders umstritten ist die Präsentation der sogenannten Benin-Bronzen, Raubkunst aus der europäischen Kolonialgeschichte in Afrika, die als Kernstück der ethnologischen Sammlung im neuen Museum ausgestellt werden und deren Restitution jahrelang von der nigerianischen Regierung gefordert worden ist. 

Am 17. Dezember loben Merkel und der Gesundheitsminister Jens Spahn per Videokonferenz die deutsch-türkische Ehepaar Özlem Türeci und Uğur Şahin, jetzt berühmt als die Gründer der Firma BioNTech, wo in Zusammenarbeit mit Pfizer der erste Corona-Impfstoff des Westens entwickelt wurde: “Wir sind mächtig stolz, auch als Bundesregierung, das bei uns im Lande solche Forscher da sind,” sagt die Kanzlerin. Die deutsche sowie englischsprachige Medien ergreifen die Gelegenheit, die zwei Wissenschaftler für ihre Erfindung zu feiern, aber manche Kommentare warnen vor Narrativen, die eine individuelle Erfolgsgeschichte zum Standard der Integration machen oder die Herkunft ihrer Helden im rhetorischen Kampf gegen rechte Einwanderungsgegner instrumentalisieren. 

Merkel und ihre Minister erfreuen sich in ihren Rollen als Krisenmanager weiterhin großen Zuspruchs: Laut einer Umfrage ist der Bundesgesundheitsminister Spahn derzeit beliebtester Politiker Deutschlands. Dieses Ergebnis wird darauf zurückgeführt, dass in Krisenzeiten im allgemeinen die Staatsmacht einen deutlichen Popularitätsschub erlebt. 

Nach Statistiken des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, sinkt die Anzahl der 2020 gestellten Asylanträge im Vergleich mit 2019 um 26,4% auf 102.581 Erstanträge. Das ist in erster Linie auf die pandemiebedingte Schließung nationaler Grenzen und erschwerte Reisebedingungen zurückzuführen. Der Höchstanteil der Antragsteller (35,5%) kommt weiterhin aus Syrien. Abschiebungen in Krisengebiete werden auch während der Pandemie durchgeführt.