Chronologie

2012

Anfang Januar stellt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, den Zweiten Integrationsindikatorenbericht vor. Der Bericht schätzt die Integrationsbemühungen der letzten Jahre eher positiv ein und spricht von einem anhaltend positiven Trend, vor allem im Bildungsbereich und auf dem Arbeitsmarkt. Die gesellschaftliche Situation habe sich für Menschen mit Migrationshintergrund verbessert. Allerdings kommt der Bericht auch zu dem Schluss, dass Einwanderer und deren Kinder es weiterhin wesentlich schwerer haben als Bürger ohne Migrationshintergrund. Zudem scheitere die Bundesregierung öfters daran, die eigenen Ziele umzusetzen.

Das Verwaltungsgericht München weist die Klage eines Lehrers, der gegen seine Nichtverbeamtung Einspruch erhoben hatte, ab. Die Stadt München vertritt die Auffassung, dass das Engagement des Lehrers für islamistische Vereine seine Eignung und Verfassungstreue in Frage stelle. Der Kläger bestreitet, dass seine Aktivitäten in Konflikt mit einer Verbeamtung stehen.

Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung veröffentlicht die Publikation „Dem Nachwuchs eine Sprache geben. Was frühkindliche Sprachförderung leisten kann”. Die Autoren untersuchen, inwieweit Eltern Einfluss auf den Spracherwerb von Kindern nehmen. Es zeigt sich, dass Eltern, die deutsche Muttersprachler sind und ihren Kindern die beste Bildung ermöglichen wollen, ihr Kind häufig nicht in Einrichtungen geben, die einen hohen Migrantenanteil aufweisen. Die Autoren folgern sogar, dass Kindertagesstätten eine größere Trennung zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund aufweisen als die entsprechenden Stadtviertel. Mit der Kita-Wahl entscheiden Eltern somit, wie häufig Kinder von Nichtmuttersprachlern in Kontakt mit Muttersprachlern kommen. Nur wenige Wochen später berichtet das Statistische Bundesamt, dass Eltern mit Migrationshintergrund sich häufig gegen einen Kita-Besuch ihres Kindes entscheiden, was Kontakte zwischen Mutter- und Nichtmuttersprachlern ebenfalls erschwert.

Der „Untersuchungsausschuss Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU-Untersuchungsausschuss) nimmt am 26. Januar seine Arbeit auf. Der Ausschuss soll die Organisation der NSU (die Zwickauer Terrorzelle), die Mordfälle und vor allem auch die Verwicklung der Behörden genauer untersuchen. Basierend auf den Ermittlungen soll der Ausschuss dann auch Empfehlungen erstellen, die eine bessere Behördenzusammenarbeit garantieren, um rechtsextreme Gewalt effektiver bekämpfen zu können. Kurz bevor der Untersuchungsausschuss zum ersten Mal zusammentritt, wird bekannt, dass unerwartet viele Verbindungsmänner des Verfassungsschutzes in Kontakt mit der NSU standen. Der politische Skandal über die Verantwortung der Behörden für die NSU-Morde eskaliert mit der Nachricht, dass ermittelnde Polizeibeamte angeblich Beziehungen zum Ku-Klux-Klan hatten.

Anlässlich des 5. Integrationsgipfels Ende Januar stellt die Bundesregierung den Nationalen Aktionsplan Integration vor. Der Aktionsplan ist dazu gedacht, konkrete Maßnahmen festzulegen, um verantwortliche Behörden in Bezug auf die Umsetzung von integrativen Zielvorgaben besser zur Rechenschaft ziehen zu können.

Der Plan des Besitzers eines Geschäftszentrums in Hamburg-Harburg, Ladenfläche nur an muslimische Interessenten zu vermieten, stößt auf Unverständnis und Kritik.

Die im ZDF ausgestrahlte Karnevalssendung „Frankfurt Helau“ löst eine landesweite Debatte über die Grenzen von Humor und das Verhältnis zwischen Komik und Rassismus aus. Zahnärztin Patricia Lowin hatte sich für ihren Standup-Comedy-Sketch als kopftuchtragende türkische Putzfrau verkleidet, die in gebrochenem Deutsch in der fiktiven Fernsehsendung „Döner-TV“ über ihr Leben in Deutschland schwadroniert.

Am 17. Februar tritt Christian Wulff (CDU) von seinem Amt als Bundespräsident zurück. Wulff wird vorgeworfen, während seiner Zeit als Niedersachsens Ministerpräsident sein Amt missbraucht zu haben. Da Wulff als Fürsprecher für Integration galt, äußern mehrere Glaubensgemeinschaften und Migrantenverbände Enttäuschung über den Verlust Wulffs, der das Thema Integration verstärkt auf die politische Agenda gesetzt hatte.

Am 23. Februar hält Semiya Simsek, deren Vater, Enver Simsek, vom Nationalsozialistischen Untergrund 2000 umgebracht wurde, eine ergreifende Rede während der zentralen Gedenkfeier an die Opfer der Zwickauer Terrorzelle. Sie erzählt den Versammelten von der Verzweiflung, mit der sie und ihre Familie nach der Ermordung des Vaters kämpfen müssen, spricht die Hoffnungslosigkeit an, die sie alle angesichts der langanhaltenden, oft unverhohlenen Geringschätzung seitens deutscher Behörden überkommt, und verurteilt die Existenz rechtsradikalen Terrorismus im heutigen Deutschland. Angela Merkel nutzt die Feier, um die Familien der Opfer um Vergebung zu bitten. Die Kanzlerin bezeichnet die NSU-Mordserie als „eine Schande für unser Land“.

Im Februar entbrennt eine Diskussion um Heike Wieses Buch Kiezdeutsch. Ein neuer Dialekt entsteht. Wiese plädiert dafür, das Deutsch, das vor allem von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Städten gesprochen wird, als einen Dialekt der deutschen Sprache anzusehen. Kiezdeutsch, widerspricht Wiese ihren Kritikern, sei somit kein Beispiel für Sprachverhunzung.

Im März sorgt die Studie „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“, die von der Bundesregierung in Auftrag gegeben worden war, für Kontroverse. Die Bild veröffentlicht eine erste Zusammenfassung der Ergebnisse Ende Februar, zusammen mit einer Stellungnahme von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Die „Schock-Studie“, so die BILD, hätte bei vielen in Deutschland lebenden, jungen Muslimen ein hohes Radikalisierungspotential nachgewiesen und zeige, dass diese Jugendlichen – vor allem wenn sie keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen – mehrheitlich Integrationsverweigerer wären. Friedrich erklärt, dass derartige Gesinnungen und deren Unterstützer in Deutschland nicht willkommen seien. Kenner der Studie werfen der BILD und Friedrich schnell vor, die Ergebnisse verfälscht dargestellt zu haben, selbst die Autoren äußern sich bestürzt. Die Untersuchung zeige, dass die Integration von jungen Muslimen im Großen und Ganzen positiv verlaufe. Die Mehrheit der Gläubigen beurteile Glauben recht unterschiedlich, und radikalere Ansichten und negative Einstellungen gegenüber dem Westen lasse sich nur bei einer Minderheit nachweisen. Die Kontroverse wird weiter angeheizt durch die Frage, wie die BILD überhaupt in den Besitz der unveröffentlichen Studie gelang. Friedrichs spätes Eingeständnis, dass sein Ministerium der Boulevardzeitung exklusiven Zugang erlaubt hatte, erhitzt die Gemüter weiter.

Im gleichen Monat veröffentlicht der Beirat der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration einen Zehn-Punkte-Plan für die Bekämpfung von Rassismus, Fremdenhass und Rechtsextremismus. Der Plan sieht vor, bestehende Gesetze effizienter anzuwenden, mehr Aufklärung zu betreiben und die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Behörden zu verbessern.

Die Aufmerksamkeit der Medien richtet sich auf das Buch Wir kommen des Studenten Inan Türkmen. Türkmen, dessen Eltern in den 1980er Jahren aus der Türkei nach Österreich übergesiedelt waren, lobt die wirtschaftlichen und sozialen Erfolge der Türken und erläutert in seinem Buch, warum die Türken dabei sind, das restliche Europa hinter sich zulassen. Dank  Kapitelüberschriften wie „Wir sind mehr“ oder „Wir sind jünger“ wird Türkmens Buch – in Anlehnung an Thilo Sarrazins kontroversen Bestseller Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen (2010) – bald als „Anti-Sarrazin-Buch“ bezeichnet, Türkmens Motivation für das Schreiben wird mit den Emotionen des durchschnittlichen Sarrazinischen „Wutbürgers“ gleichgesetzt.

Neun Jahre nach dem ersten, gescheiterten Verbotsverfahren gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) bereiten Regierungsvertreter der Landesregierungen einen zweiten Versuch vor. Das Problem, wie man mit den hunderten Verbindungsmännern, die den Behörden gegenwärtig Informationen liefern, umgehen soll, beschäftigt die Antragssteller erneut.

Am 23. März wird Joachim Gauck (parteilos) Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. In seiner Antrittsrede wendet sich Gauck an rechtsradikale und andere politische Extremisten: „Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich. Wir schenken euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet Vergangenheit sein und unsere Demokratie wird leben“. Gauck, der erste Präsident Deutschlands aus der DDR, setzt sich außerdem für eine vermehrte europäische Integrationspolitik ein und bittet um mehr Vertrauen in die deutsche Nation, zukünftige Herausforderungen zu meistern.

Das Berliner Arbeitsgericht urteilt, dass, falls es keinen sachlichen Grund gibt, Arbeitnehmern, die im Privatsektor arbeiten, nicht verboten werden darf, ein Kopftuch zu tragen. Das Tragen eines Kopftuches darf auch nicht als Nichteinstellungskriterium gelten.

Im April tritt das neue Akkreditierungsgesetz für ausländische Abschlüsse in Kraft. Es soll die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen erleichtern und Zuwanderern eine Rechtsgrundlage für die Einhaltung von Fristen geben. So haben Antragssteller das Recht, innerhalb von drei Monaten einen Bescheid zu erhalten. Allerdings stehen den Behörden nicht genügend Resourcen zur Verfügung, um die Arbeit überhaupt zeitgerecht zu bewältigen.

Am 4. April löst Günter Grass‘ Gedicht „Was gesagt werden muss“, das zuerst in der Süddeutschen Zeitung, in der La Repubblica und in der El País veröffentlicht wird, eine hitzige Debatte aus. Das kontrovers diskutierte Gedicht kritisiert Israel für das Planen eines Präemptivschlags gegen Iran, verurteilt Deutschland als Waffenlieferant für das indirekte Unterstützen eines solchen Angriffs und übt Kritik an dem angeblich in Deutschland herrschenden Taboo, Israels Politik zu hinterfragen. Daraufhin erteilt die israelische Regierung Grass ein Einreiseverbot auf unbestimmte Zeit, was den Nobelpreisträger wiederum dazu veranlasst, einen Vergleich zwischem dem israelischen Staat und der DDR zu ziehen.

Mitte April verteilt die salafistische Organisation „Die wahre Religion“ Korane in deutschen Innenstädten. Die Aktion, sowie fragwürdige Aussagen der Organisatoren, zu denen auch Drohungen gegen Journalisten gehören, führen zu einer Diskussion über den Umgang mit islamistischen Radikalen, an der sich die diesjährige Islam Konferenz auch beteiligt. Im Juni wird dann der salafistische Verein „Millatu Ibrahim“ verboten.

Am 17. April heizen Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und sein französischer Kollege Claude Guéant die Debatte um weitere Reformen des Schengener Abkommens erneut an, als sie sich dafür aussprechen, dass einzelne Nationalstaaten das Recht erhalten sollten, Grenzkontrollen für einen befristeten Zeitraum wieder einführen zu können. Die Diskussion um Freizügigkeit innerhalb der EU im Rahmen des Schengener Abkommens erreicht somit einen weiteren Höhepunkt, nachdem Dänemark die permanente Wiedereinführung von Grenzkontrollen im letzten Mai beschloss.

Die Ermordung der neunzehnjährigen Arzu Ö. lenkt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ein weiteres Mal auf die Notlage von in Deutschland lebenden Frauen, deren Lebensweise nicht mit den Vorstellungen und Ansichten ihrer Familien übereinstimmt. Die Geschwister von Arzu Ö. müssen sich vor Gericht für den Tod ihrer Schwester – der Vorwurf lautet: Ehrenmord – verantworten.

Ende April zeigt eine Studie von Amnesty International, wie Muslime aufgrund ihrer Herkunft und Traditionen in Europa diskriminiert werden. Der Bericht weist darauf hin, dass Diskrimination von Lokalpolitiker und Behörden unterstützt wird, und hebt hervor, dass vor allem Frauen gesetzlich bedingte Benachteiligung erfahren.

Am 27. April verabschiedet der Bundestag ein neues Gesetz zur Blue Card. Die Blue Card soll hochqualifizierten Nichteuropäern das Zuwandern in die EU erleichtern. Die deutsche Regierung ist der Auffassung, dass die Einführung der Blue Card die Attraktivität des deutschen Arbeitsmarktes für Nichteuropäer erhöhen wird.

Anfang Mai veröffentlicht der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) seinen Jahresbericht. Der Bericht analysiert die Effizienz der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Bundesbehörden, Landesinstitutionen und lokalen Einrichtungen, die in den Zuständigkeitsbereich von Migration und Integration fallen. Obwohl der Bericht die untersuchten Integrationsbemühungen positiv bewertet, wird den verantwortlichen Stellen nahegelegt, die Zusammenarbeit zu verbessern und effektivere Austauschsstrategien zu entwickeln. Die ernste Situation von Einwanderern aus Südosteuropa, vor allem aus Ungarn und Rumänien, verdeutlicht, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Behörden für das Gelingen von Zuwanderung ist.

In einem im Mai erschienenen Interview spricht Orhan Pamuk, Nobelpreisträger für Literatur und Sonning-Preisträger (Dänemarks höchste Auszeichnung für kulturelle Leistungen), über den Vertrauensverlust gegenüber der Europäischen Union in der Türkei. Pamuk führt die Frustration der Türken über die EU vor allem auf Angela Merkels und Nicolas Sarkozys Ansichten zur Türkei und die europäische Finanzkrise zurück.

Joachim Gauck erklärt in einem Interview mit der Zeit, dass er die Aussage seines Vorgängers Christian Wulff, dass der Islam Teil Deutschlands sei, so nicht teile: „Und die Wirklichkeit ist, dass in diesem Lande viele Muslime leben. Ich hätte einfach gesagt, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland.“ Gaucks Aussagen führen zu einer erneuten Debatte über die Bedeutung des Islams und die Rolle von Muslimen in der deutschen Gesellschaft.

Im Juni publiziert das Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) die Studie „The Impact of Immigration on the Well-Being of Natives“ („Die Auswirkungen von Immigration auf das Wohlergehen von Einheimischen“). Der Forschungsbericht kommt zu dem Schluss, dass Zuwanderung sich hauptsächlich positiv auf das Wohlbefinden der einheimischen Bevölkerung auswirkt: Einwanderer tragen zum Wohlergehen der Einheimischen bei, weil sie häufig in der Dienstleistungsindustrie beschäftigt sind und vor allem auch die Essenskultur bereichern. Laut der Studie geht das Wohlbefinden der Einheimischen zurück, wenn Immigranten wirtschaftlich gar nicht oder aber vollständig integriert sind.

Am 26. Juni urteilt das Landgericht Köln, dass die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen strafbar ist, weil sie den Strafbestand der Körperverletzung erfüllt. Das Urteil sorgt national und international für hitzige Diskussionen und stößt auf Unverständnis. Um die rechtliche Lage zu klären, verabschiedet der Bundestag im Dezember neue Richtlinien, die die Beschneidung aus religiösen Gründen legalisiert. Die Mehrheit der Deutschen spricht sich allerdings gegen diese gesetzliche Regelung aus.

Mitte Juli unterbindet das Verwaltungsgericht Stuttgart die Rückführung einer palästinensischer Familie von Deutschland nach Italien. Die asylsuchende Familie darf nicht nach Italien abgeschoben werden, weil das Gericht die Bedingungen in italienischen Flüchtlingsunterkünften für menschenunwürdig hält. Das Stuttgarter Verwaltungsgericht ist nicht das erste deutsche Gericht, dass die Rückführung von Flüchtlingen nach Italien und vor allem auch Griechenland stoppt. Derartige Urteile machen auf das Scheitern der europäischen Flüchtlingspolitik aufmerksam.

Der Zentralrat der Muslime begrüßt die Entscheidung der FIFA das Kopftuchverbot aufzuheben: „Dies ist ein wichtiger Schritt in Richtung Normalität und umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.“

Im August muss sich die Bremer CDU gegen den Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit wehren, nachdem leitende Parteimitglieder behaupten, dass Straftäter, die einen Migrationshintergrund aufweisen und deutsche Staatsangehörige sind, aufgrund ihrer ethnischen Herkunft kriminell geworden sind.

Am 26. August findet die Gedenkfeier für die Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen statt. Bundespräsident Joachim Gauck erinnert an die Mittäterschaft der Bürger an den Ausschreitungen im Jahr 1992 und beschreibt seine eigene Wut über die Angriffe auf die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber und ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter: „Es gibt keine Entschuldigung für mangelnde Verantwortung und Professionalität.“ Gauck ruft dazu auf „die Demokratie beständig zu verbessern und beständig zu verteidigen.“ Für Unverständnis sorgt die Entscheidung der Stadt Rostock eine Eiche – immerhin Sinnbild des deutschen Nationalismus – als Mahnmal zu setzen.

Die Bundesregierung lässt fiktive Vermisstenanzeigen drucken, um für die Beratungsstelle Radikalisierung vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu werben. Die Plakate, die junge Muslime zeigen, stigmatisiere Einwanderer, argumentieren Kritiker der Aktion, die letztendlich abgeblasen wird.

Am 1. September tritt Ferdos Forudastan ihr Amt als Pressesprecherin für Bundespräsident Joachim Gauck an. Forudastans Berufung wird als Zugeständnis an Zuwanderer angesehen, da Gauck in der Vergangenheit vor allem für seine politische Unerfahrenheit im Bereich Migration und Integration kritisiert worden war.

Die Unterkunftsmöglichkeiten für Asylbewerber werden knapp, da die Anzahl von Asylsuchenden im Vergleich zum Vorjahr um über 30 Prozent gestiegen ist. Die Not der Asylbewerber zieht weitere öffentliche Aufmerksamkeit auf sich, als eine Gruppe von Flüchtlinge Anfang September von Würzburg nach Berlin marschiert, um gegen die strengen Auflagen, die das Leben von Asylanten reglementieren, zu protestieren. In Berlin treten einige der Demonstranten, die vor dem Brandenburger Tor nächtelange in klirrender Kälte ausharren, in den Hungerstreik.

Mitte September gibt das Statistische Bundesamt bekannt, dass die Anzahl von ausländischen Studenten, die einen Abschluss an deutschen Universitäten gemacht haben, gestiegen ist. Die Studie „Mobile Talente“, die der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) bereits im April veröffentlichte, zeigt allerdings, dass ausländische, nichteuropäische Studenten Schwierigkeiten haben, nach dem Abschluss ihres Studiums Arbeit zu finden und längerfristig in Deutschland zu bleiben.

Im Oktober dreht sich die öffentliche Diskussion um die Migration von Tausenden von Roma und Sinti in deutsche Städte. Im Vordergrund der Debatte steht die Frage, wie überlastete Kommunen den Zuzug aus Osteuropa bewältigen können. Die Diskussion, die auch in den nächsten Monaten nicht abreißen wird, befasst sich mit den schlechten Lebensbedingungen und sozialen Ausgrenzungen, denen Roma und Sinti in ihren Heimatländern und in Deutschland ausgesetzt sind, und der Frage, ob und wie das deutsche Sozialsystem für diese Menschen aufkommen soll.

Heinz Buschkowskys Buch Neukölln ist überall steigt im Oktober in die Spiegel-Bestsellerliste auf. Buschkowsky, der über zehn Jahre Bürgermeister von Neukölln war und der für sein Buch sowohl Zustimmung als auch Kritik bekommt, vertritt die These, dass Integration und Multikulturalismus in Deutschland gescheitert sind.

Am 3. November eröffnet die Wanderausstellung „Homestory Deutschland. Schwarze Biografien in Geschichte und Gegenwart“ in Köln. Organisatoren hoffen, mit der Ausstellung zu zeigen, „dass „Schwarzsein“ und „Deutschsein“ kein Widerspruch ist. Und dass wir als Afrodeutsche eine jahrhundertelange Geschichte haben, in der wir für uns selbst gesprochen haben und nicht nur Opfer von stereotypen Fremddarstellungen und negativen Zuschreibungen waren.“

Ende November trifft das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Entscheidung, dass eine 61-jährige türkische Analphabetin, die seit über dreißig Jahren in Deutschland lebt und kein Deutsch spricht, einen Integrations- und Sprachkurs besuchen muss.

Der erste OECD-Integrationsbericht stellt fest, dass ungelernte, in Deutschland lebende Zuwandererkinder eine bessere Chance auf einen Job haben als in anderen Ländern. Allerdings fällt es dieser Gruppe immer noch wesentlich schwerer, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, als ungelernten Kindern von Einheimischen.

Im Dezember stößt Tuvia Tenenboms Buch Allein unter Deutschen. Eine Entdeckungsreise eine hitzige Debatte über die Verbreitung von Anti-Semitismus und dessen Erscheinungsformen im heutigen Deutschland an.

Mehr als 82 Millionen Menschen leben Ende des Jahres in Deutschland. Der Bevölkerungszuwachs basiert allein auf Zuwanderung, die Geburtenrate hat keinen Anstieg zu verzeichnen. 2012 ist das erste Jahr seit den 1990er Jahren, in dem mehr Menschen (nämlich 300 000) ins Land gezogen sind, als es verlassen haben.